Zeitzeugengespräch zum „Deutschen Herbst“ 1977 mit Dr. Hans Friderichs

Noch immer laufe ein Schauer seinen Rücken hinunter, so der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Dr. Hans Friderichs (FDP), wenn er daran denke, dass der ehemalige Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, ihm kurz vor seiner Ermordung durch RAF-Terroristen gesagt hatte: „Ich würde mich niemals von denen entführen lassen“. Ein tatsächlicher Entführungsversuch wenige Monate später, im Juli 1977, scheiterte, Ponto bezahlte mit seinem Leben.

Auf Einladung des Sozialkunde-Leistungskurses der MSS13 und im Beisein des Wittlicher Bürgermeisters Joachim Rodenkirch referierte der gebürtige Wittlicher Friderichs, der 1950 am Cusanus-Gymnasium sein Abitur ablegte und von 1972 bis 1977 den Kabinetten Willy Brandts und Helmut Schmidts angehörte, am 6. März 2018 zum Thema „Deutscher Herbst“. Die drei Sozialkunde-Leistungskurse der Oberstufe sowie die drei zehnten Klassen, in denen das Thema lehrplanmäßig im aktuellen Halbjahr im Geschichtsunterricht behandelt wird, hatten zudem für den zweiten Teil einige Fragen vorbereitet.

Friderichs, der seine spätere Verwicklung in die sog. Flick-Affäre bei seiner Vorstellung nicht unerwähnt ließ, erzählte viele persönliche Anekdoten aus seiner politischen und wirtschaftlichen Laufbahn, insbesondere in Hinblick auf den Deutschen Herbst. Nach seinem Abitur am Cusanus-Gymnasium führte es ihn zum Studium nach Marburg, Graz und Mainz, wo er dann auch das zweite juristische Staatsexamen erlangte und promovierte. Nach mehreren Stationen in der Landespolitik kam er schließlich 1972 als Wirtschaftsminister in die Bundesregierung, die er 1977 wieder verließ, um Nachfolger Pontos bei der Dresdner Bank zu werden. Diese Entscheidung, so Friderichs, sei eine der schwierigsten seiner politischen Laufbahn gewesen, da er so selbst ins Schussfeld der RAF geraten konnte. Eine Befürchtung, die sich später bewahrheiten sollte, als man beim Ausheben einer konspirativen Wohnung der RAF in Hamburg Stadtpläne von Mainz mit Friederichs‘ täglichen Fahrtrouten entdeckte. Auch Wolfgang Grams, einen RAF-Terroristen der dritten Generation, der 1993 nach der versuchten Festnahme durch die GSG9 in Bad Kleinen Suizid beging, habe man in den 1980er Jahren in der Nähe Friderichs‘ Büroräume gesichtet, aber seinerzeit nicht festnehmen können. Dies habe – insbesondere bei seiner Frau – die Ängste, selbst Opfer der RAF zu werden, verstärkt.

Bereits seit den frühen 1970er Jahren bekamen Friderichs und seine Familie Personenschutz, was Konsequenzen für sein gesamtes Privatleben bedeutete. So schilderte er lebhaft in mehreren Anekdoten, dass ein normales Familienleben unter diesen Umständen in dieser Zeit kaum möglich war.

Während der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer im September 1977 war es Friderichs, welcher seitens des Kabinetts den Kontakt zu Schleyers Familie hielt. Er berichtete von sehr persönlichen Begegnungen mit Schleyers Frau Waltrude und gab Einblicke in die Verhandlungstaktik Helmut Schmidts.

Im zweiten Teil kamen die Schülerinnen und Schüler dann vertieft ins Gespräch mit Friderichs. Wie er die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ erlebt habe und wie er an Schmidts Stelle entschieden hätte, aber auch, ob er beim Wechsel aus dem Amt des Bundeswirtschaftsministers in den Vorstand der Dresdner Bank keine Interessenkonflikte gehabt habe, wollten die Schülerinnen und Schüler wissen. Friderichs beantwortete alle Fragen sehr ausführlich und adressatengerecht.

Schließlich wurde der Bogen in die Gegenwart geschlagen und sein Besuch endete mit Fragen zur Gesinnungsethik in der Politik sowie Diskussionsbeiträgen zur aktuellen Regierungsbildung, der Zukunft der EU und zur Rolle der AfD, für deren Erstarken er der Politik der etablierten Parteien in den letzten Jahren eine erhebliche Mitschuld gab. Gleichzeitig plädierte er dafür, sich argumentativ und inhaltlich, und weniger polemisch mit der AfD auseinanderzusetzen.

Zum Schluss ermutigte er die Schülerinnen und Schüler, die „riesigen Chancen“, die die Gesellschaft ihnen böte, wahrzunehmen. Er riet ihnen, Berufsentscheidungen auf Grundlage von Praktika und Auslandsaufenthalten, vor allem aber ihrer persönlichen Präferenzen zu treffen. Er ermahnte sie gleichzeitig, immer über den eigenen Tellerrand zu blicken und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Das Soziale, so die vielleicht eher ungewohnten Worte eines FDP-Politikers, dürfe im Sinne gesellschaftlichen Zusammenhalts niemals aus dem Blickfeld geraten.

Herr Mayer bedankte sich abschließend im Namen der gesamten Schülerschaft bei Herrn Friderichs für dessen Bereitschaft, auch mit 86 Jahren noch als Zeitzeuge zur Verfügung zu stehen und diese Phase der deutschen Geschichte auch über vierzig Jahre später so greifbar und lebhaft gemacht zu haben. Ein weiterer Dank galt dem Sozialkunde-Leistungskurs der Jahrgangsstufe 13, hierbei insbesondere Anna Rodenkirch, die die Veranstaltung federführend organisiert hatte. Der letzte Dank galt den anwesenden Schülerinnen und Schülern, die mit ihren klugen und diskursiven Fragen einen erheblichen Anteil daran hatten, dass die Veranstaltung zu einem Erfolg wurde.

T. Roth