Zeitzeugengespräch mit Edith Erbrich
Unmenschliche Ausgrenzung und Isolation im Alltag, spielen in einer vom Krieg zerstörten Trümmerlandschaft zusammen mit der älteren Schwester Hella, tagsüber sich selbst überlassen in Todesangst um die Eltern, die zur Zwangsarbeit gezwungen wurden, Verpflichtung, den Judenstern auf der Kleidung an der linken Seite eine Handbreit unter der Schulter als Zeichen der Diskriminierung zu tragen: All das waren u.a. die Entbehrungen, die Frau Erbrich als junges Mädchen zusammen mit ihrer Schwester Hella während der Nazizeit zu ertragen hatte: Sie waren gemäß der NS-Rassegesetze von 1935, den „Nürnberger Gesetzen“, Kinder („Mischlinge I. Grades“) aus einer so genannten „Mischehe“, weil der Vater jüdischen und die Mutter christlichen Glaubens war. Ziel der NS-Ideologie war die Zwangsscheidung solcher Ehen, die als „Rassenschande“ galten, was auch die Mutter von Frau Erbrich leidvoll an Körper und Geist zu ertragen hatte: Sie wurde von der SS in eine dreiwöchige Beugehaft genommen, um dort gebrochen zu werden und einer Scheidung von ihrem Mann zuzustimmen. Nie habe ihre Mutter über diese Zeit gesprochen, so Frau Erbrich, und der Scheidung trotz allen Drucks nicht zugestimmt.
Kurz vor Kriegsende wurden auch die Angehörigen der so genannten „Mischehen“ deportiert, vielfach in das Ghetto Theresienstadt. Auch Frau Erbrich, ihre Schwester und ihr Vater wurden am 14.02.1945 von der damaligen Großmarkthalle aus in Frankfurt/Main in Viehwaggons gesteckt. Ihre Mutter durfte sie nicht begleiten. Menschen, denen sie auf dem Weg zu Fuß zur Deportationsstelle begegneten, bespuckten sie und riefen ihnen, noch kurz vor Kriegsende verblendet und fanatisiert, zu: „Wir sind froh, dass ihr endlich weg seid.“
Menschen, die während der viertägigen Fahrt aufgrund der unmenschlichen Strapazen starben, wurden wie Vieh aus den Waggons aufs freie Feld geworfen. Im Ghetto Theresienstadt setzte sich die unmenschliche Behandlung fort mit Kälte, Hunger, Enge in den Unterkünften, Appellen in Eiseskälte, mit Zwangsarbeit, unbarmherzigen und masochistischen Behandlungen des Aufsichtspersonals.
Auf Druck der dänischen Regierung fand am 23. Juni 1944 eine Inspektion des Ghettos durch das Internationale Komitee des Deutschen Kreuzes statt: Monatelang wurde Theresienstadt dazu zum „Vorzeige-Ghetto“ umgebaut, u.a. mit „Ghettogeld“ als Zeichen der Normalität oder auch mit Cafés ausgestattet, um die Gerüchte von Gräueltaten in den Ghettos und KZs in der internationalen Öffentlichkeit zu zerschlagen. Zuvor wurden Menschen in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, um den Eindruck von Überfüllung zu vermeiden. Kinder wurden, so Frau Erbrich, schön angezogen, an Tischen voller Süßigkeiten sitzend, und dazu verpflichtet, am wiederholten perfiden Propagandaspiel mitzuspielen.
Am 08. Mai 1945 befreite die Rote Armee Theresienstadt: Nachts und laut rückte die sowjetische Armee an, so Frau Erbrich. Von 15 000 Kindern im Ghetto, so Herr Pawellek, der Frau Erbrich interviewte und behutsam durch ihre Lebensgeschichte führte, überlebten 132 Kinder. Tausende von Erwachsenen starben oder wurden von Theresienstadt aus ins KZ Auschwitz deportiert, was den sicheren Tod bedeutete.
„Woher nahmen sie die Lebenshoffnung während der Zeit im Ghetto?“, fragte eine Schülerin die Zeitzeugin. Vom unerschütterlichen Lebenswillen ihres Vaters, dem lebensnotwendigen Austausch mit ihrer Schwester und dem Wissen, dass es „stillen Helden“ gab, die verlässlich halfen und unterstützten, antwortete Frau Erbrich.
Frau Erbrich und Herrn Pawellek herzlichen Dank fürs Kommen und das wertvolle Gespräch! Herrn Marenberg herzlichen Dank für die Organisation der bewegenden Veranstaltung, die in Kooperation mit “Kultur in der Wallfahrtskirche” (Klausen) und dem Emil-Frank-Institut Wittlich an unserer Schule durchgeführt wurde.
Hinweis: Das Buch von Louis Pawellek mit dem Titel „Die letzten Stimmen des Holocaust“ ist demnächst in unserer Schulbibliothek entleihbar.
Text: SCU, Fotos: SCU / Tobias Marenberg