Besuch des Holocaust-Überlebenden Gerd Klestadt an unserer Schule

Wittlich. Der Holocaust-Überlebende Gerd Klestadt, der heute in Luxemburg lebt, besuchte am 09. November das Cusanus-Gymnasium in Wittlich und berichtete insbesondere über seine Zeit im Konzentrationslager Bergen-Belsen nördlich von Hannover.

Während in der Stadt die Vorbereitungen für die Mahnwache und die anschließende Kranzniederlegung zur Erinnerung an die Pogrome gegen die jüdischen Bürger Wittlichs beginnen, werden im Cusanus-Gymnasium Stühle gerückt für drei zehnte Klassen sowie Interessierte aus der Oberstufe und aus dem Kollegium.

Nach der Begrüßung durch Schulleiter Wolfgang Mayer tritt Gerd Klestadt ans Pult und hat für 90 Minuten die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden.

1932 als Sohn des Juristen Berthold Klestadt (1899-1945) und seiner Frau Ruth Klestadt-Grüntal geboren, konnten seine Eltern 1936 von Düsseldorf mit dem noch nicht Vierjährigen und seinem drei Jahre jüngeren Bruder Peter der Verfolgung durch die Nazis in die Niederlande entkommen. Weil die Familie jüdisch war, wurde sie von den deutschen Behörden „ausgebürgert“: sie verlor ihre Staatsangehörigkeit, lebte  „ohne Nationalität und ohne Papiere“ in der holländischen Provinz Utrecht. Die geplante Flucht nach Südamerika gelang nicht, die Nazis verhafteten die Familie im Jahre 1943 und brachten sie zunächst in das Durchgangslager Westerbork. Während Gerd Klestadts Großmutter väterlicherseits in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und ermordet wurde, verschleppten die Nazis ihn selbst mit seinen Angehörigen Ende Januar 1944 von Westerbork in das KZ Bergen-Belsen.

„In den Waggons waren wir mit 60 bis 70 anderen Juden zusammengepfercht. Erwachsene, Kinder, Jung und Alt. Auf dem Boden lag ein wenig Stroh. Es standen zwei Fässer drin. In dem einen war Trinkwasser, in dem anderen verrichteten wir unsere Notdurft. Da hat man das verloren, was man „dignité humaine“ nennt. Seine Notdurft verrichten. Vor den Augen aller anderen. Auf diesem Fass. Und auf dem Boden lagen die ersten Leichen… Am Bahnhof in Bergen angekommen, ging es sechs Kilometer zu Fuß ins Lager Bergen-Belsen. Die, die keine Kraft mehr hatten, wurden von Soldaten oder SS-Leuten in eine bessere Welt verabschiedet.“

Im KZ trennte die SS die Frauen mit Töchtern und kleinen Kindern von den Männern und Jungen. Gerd Klestadt, damals elf Jahre alt, blieb bei seinem Vater, musste wie die Eltern Zwangsarbeit verrichten. Eines Nachts im Frühjahr 1945 musste er miterleben, wie sein Vater neben ihm starb. Kurz darauf steckte die SS Frau Klestadt und die Jungen mit 2500 anderen KZ-Häftlingen in einen Zug „Ziel unbekannt“. Nach Aufgabe des Zuges durch die Bewacher in der Nähe von Magdeburg kam am 13. April 1945 die ersehnte Befreiung durch Soldaten der 30. US-Infanteriedivision.

Am Ende seines Vortrags versichert Klestadt, dass es nicht seine Absicht sei, den Zuhörenden Schuld aufzuladen. Allerdings müsse die Erinnerung bewahrt werden, um Terror und Gewalt nie wieder aufflackern zu lassen, mahnt er.

Ob das gelingt, ist für ihn ungewiss: „Schaut euch die Massenmorde im ehemaligen Jugoslawien an, und betrachtet auch dieses Bild“, rief er und zeigt die Aufnahme einer Familie, die in einer deutschen Großstadt auf ihre Abschiebung wartet, an den Handgelenken aneinander gefesselt und mit einer Nummer auf dem Arm gekennzeichnet. Gerd Klestadt bttet die jungen Leute, im Alltag nicht weg zu sehen und Zivilcourage zu zeigen.

Im Anschluss werden ihm Fragen zum Leben im KZ Bergen-Belsen und die dortige Aufteilung in Frauen- und Männerlager gestellt. Auf die Frage einer Schülerin, ob Klestadt, in Deutschland geboren, so etwas wie Heimatgefühle habe und sich vorstellen könne, wieder hier zu leben, sagt er entschieden, dass er gerne komme, um z. B. an Schulen zu sprechen, aber auf keinen Fall wieder hier leben könne.

Am Schluss verteilt Gerd Klestadt an alle kleine Glasmurmeln als Symbol für die Erde und ihre Menschen, für die es sich lohne, einzutreten.

Wolfgang Schmitt-Kölzer