„Nimm doch mal ein Buch in die Hand“ – Elternabend zum Thema „Lesen“

Im Zentrum des Vortrags von Frau Dr. Ines Heiser, selbst Gymnasiallehrerin, aber auch Dozentin an der Philipps-Universität Marburg, standen zunächst grundlegende Informationen zum Verständnis des Begriffs „Lesen“. Gemäß der OECD (2001) sei Lesen ein Prozess, der dazu führen sollte, Texte unterschiedlichster Art zu verstehen, um damit im weitesten Sinne am „gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“. Besonders zentral beim Erwerb dieser Lesekompetenz sei es, dass Kinder bereits in der Grundschule möglichst rasch das Alphabet erlernen und verinnerlichen sollten, um möglichst schnell auch Spaß am Lesen zu empfinden. Dies wiederum unterstütze die Automatisierung der Leseprozesse, weil öfters zum Buch gegriffen werde, was wiederum zur Beschleunigung der Leseflüssigkeit führe. Umgekehrt behindere verzögertes Lesenlernen den Genuss beim Lesen. Lesen werde zur Qual, der freiwillige Griff zum Buch eher selten.
Die Motivation zu lesen sei, so die Referentin, sehr unterschiedlich. Man unterscheide in der Leseforschung ganz grundlegend folgende „Lesemodi“:

  • „zweckrationales Lesen“ in der Form des „Pflichtlesens“ und des „instrumentellen Lesens“, mit dem man bestimmte Zusammenhänge, das Backen eines Kuchens etwa, verstehen wolle
  • „autonomes, selbstgewähltes Lesen“ in der Form des „Konzeptlesens“, das bestimmte Vorlieben fokussiere, oder in der Form des “ partizipatorischen Lesens“, das primär deshalb erfolge, um das Gelesene mit anderen zu teilen, um an Gesprächen teilzunehmen
  • „selbstzweckhaftes Lesen“, zu dem das „ästhetische Lesen“, das „intime Lesen“ und auch das
  • „erkenntnisgeleitete Lesen“ gehöre

Gerade bei schwächeren Lesern und Leserinnen könne man zuhause durch das Schaffen von Lesesituationen, in denen das instrumentelle Lesen eingefordert werde („Schau mal bitte im Kochbuch nach, wie viel Zucker wir brauchen.“), einen ungezwungenen Zugang zum Lesen ermöglichen, denn nachwievor sei Lesen eine Kompetenz, die über die Schule hinaus gerade in der Familie geschult werde, wo bereits oft im Vorschulalter eine erste „literarische Initiation“ beispielsweise durch das Vorlesen von Geschichten erfolgt. Gerade der Grundschule gelinge es häufig, bei vielen Kindern eine hohe Lesemotivation zu erzeugen, die bei vielen Kindern bis in die Vorpubertät erhalten bliebe, so dass eine mögliche „Lesekrise“ in der Pubertät überwunden werden könne, weil an frühere positive Erfahrungen angeknüpft werden könne. Gerade in der Pubertät probierten Jugendliche für sich verschiedene Lesemodi aus, die im Erwachsenenalter zur Bevorzugung bestimmter Lesemodi führten. Leider stabilisierten jedoch Lesekrisen in der Pubertät, falls sie nicht mit positiven Leseerfahrungen aus der Vorpubertät überwunden werden könnten, Haltungen, die zum Ablehnen des Lesens führten. Diese positiven oder negativen Haltungen stabilisierten sich und würden vielfach im Erwachsenenalter beibehalten.
Für den Leseerwerb prägend sei eine gute Lesekultur in der Familie, die z.B. darin erkennbar sein, dass über Bücher gesprochen werde, dass Eltern über ihre Lieblingsbücher aus ihrer Kindheit erzählten. Eine wertschätzende Haltung dem Lesen gegenüber sei auch daran erlebbar, dass verlässlich feste Lesezeiten/Leserituale eingerichtet würden und dass es in Haushalten überhaupt Bücher gebe, was gar nicht mehr so selbstverständlich verbreitet sei. Eine Erstbegegnung mit einem Buch erfolge manchmal leider erst im Kindergarten oder in der Grundschule. Gerade jüngere Kinder sollten aber ihre Eltern mit einem Buch in der Hand lesen sehen; das Lesen am E-Reader oder am Computer fördere das frühe Interesse am Buch bei jüngeren Kinder eher weniger.
Wie können Eltern nun gezielt das Lesen fördern?
Sie sollten gerade bei schwächeren Lesern und Leserinnen Buchserien anbieten. Kinder liebten Bekanntes – so die Referentin. Gerade auch schwächere Leser fänden sich dann auch schneller im Folgeband zurecht, weil das bekannte Personensetting Orientierung und Halt gebe. Auch würde möglicherweise das Interesse an der Buchfortsetzung geweckt. Zudem sollte im „Medienverbund“ gelesen werden. Interesse am Literatur könne etwa über eine Film geweckt werden, dessen Handlung zudem als Buch vorliegen sollte, das die Handlung durchs eigene Lesen nochmals anders erlebbar machen könne. Auch Hörspiele, parallel beim Lesen eingesetzt, könnten den Leseprozess beschleunigen, Synergieeffekte könnten sich somit insgesamt durch den Medienverbund einstellen. Auch der gemeinsame Besuch einer Buchhandlung oder einer Stadtbücherei, zudem der eines Bücherflohmarkts z.B. könnte Bücher mit der Außenwelt, der realen Welt der Kinder verbinden. Warum, so Frau Dr. Heiser, nicht auch einmal literarische Orte besuchen oder literarische Erlebnisse nachspielen?
Bei der Auswahl von Büchern sei natürlich unbedingt, so die Referentin gegen Ende ihres Vortrags, auf die Interessen der Kinder einzugehen. Laut Daniel Pennac seien „Zehn unantastbare Rechte des Lesers“ zu beachten:

„Das Recht, nicht zu lesen.“
„Das Recht, Seiten zu überspringen.“
„Das Recht, ein Buch nicht zuende zu lesen.“
„Das Recht, noch einmal zu lesen.“
„Das Recht, irgendwas zu lesen.“
„Das Recht, in Romanen zu leben.“
„Das Recht, überall zu lesen.“
„Das Recht, herumzuschmökern.“
„Das Recht, laut zu lesen.“
„Das Recht, zu schweigen.“

ein nützlicher Link:
Rezensionen von Büchern für Jungs bei: http://www.boysandbooks.de/buchempfehlungen/altersgruppen.html

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