Literatur – eine Art „Brühwürfel“

Seit mittlerweile fünf Jahren gelingt es Frau Wagner, die seit 2012 laut FAZ zu den zwanzig besten deutschsprachigen Schriftstellern unter 40 Jahren gezählt wird, in ihren Lesungen und Literaturwerkstätten, unsere Schülerinnen und Schüler für Literatur zu begeistern. Das liegt nicht nur an ihrer Präsenz und ihrem mitreißenden und szenischen Lesevortrag, sondern vor allem an ihrer Lebendigkeit und ihrer Überzeugungskraft.
Für die 9. Klassen machte Frau Wagner neugierig auf ihren Jugendroman “Hyde”, in dessen Verlauf die Lebensgeschichte Katrinas, auf unterschiedlichen Zeitebenen verortet, aus der Ich-Perspektive erzählt wird. Schon der Titel des Romans hat Verweischarakter auf Unheimliches, Mysteriöses, Dunkles. Hyde wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde? Oder doch abgeleitet von Hyde Park oder von “to hide”? Schon die verschiedenen Ebenen des Titels sind Fingerzeige in Richtung Romanhandlung, was Frau Wagner in ihrer Lesung bestätigt. Auch das Cover hält sie wegen der symbolischen Qualität für gelungen. Der von ihr mitreißend vorgelesene Textauszug aus “Hyde” ließ zudem erahnen, dass die Puzzleteile der Handlung in dieser “Rätselgeschichte” vom Leser zusammengefügt werden müssen, um am Ende von “Hyde” zu verstehen, welches Geheimnis Katrina in sich trägt.

Für die Schülerinnen und Schüler der MSS 11 entwickelte Frau Wagner eine Art Wegweiser, der triviale von anspruchsvoller Literatur unterscheidbar macht: “Inhaltliche und sprachliche Originalität”, “Welthaftigkeit” und “Komplexität” seien – so die Autorin – Gütekriterien für gelungene Literatur. Anschaulich anhand von Beispielen aus ihrer Kurzgeschichtensammlung “Mottenlicht” erläuterte die Autorin die genannten Begriffe und machte Unterschiede zwischen gelungenen Texten und trivialen für die anwesenden Schülerinnen und Schülern aus der 11. Klassenstufe nachvollziehbar. Natürlich könne man als Leser nur das äußere Geschehen genießen und sich gut unterhalten fühlen, gute Literatur sei jedoch komplex, habe einen doppelten Boden, einen Subtext, der wie das Geheimfach eines Koffers oder wie ein doppelter Boden vom Leser entdeckt und erschlossen werden sollte und müsse, um das Anliegen des Autors zu erfassen. Verdichtungen, Leerstellen, metaphorische Verweise seien sicherlich interpretatorische Herausforderungen für den Leser, ein paar Schlüssel als Zugangsmöglichkeiten zu Texten könnten jedoch weiterhelfen zum Textverstehen: Landschaftsbeschreibungen und Lebensräume etwa, auch Wetterbeschreibungen spiegelten in Texten oft die Gemütslage von Figuren nach außen, auch Farben hätten Symbolkraft. Alles in allem werde dadurch unter Umständen ein zusätzlicher Text, eine zusätzliche Geschichte in Ergänzung zur Haupthandlung erzählt, eine Leerstelle erstellt, die der Leser im besten Fall entdeckt, füllt und genießt. Texte seien eben wie “Brühwürfel” – so Frau Wagner: kompakt und verdichtet. Beim Reflektieren erschließe sich dann allerdings die raumfüllende und mitunter faszinierende Kraft des Textes.
Die Veranstaltung war gelungen und ein Gewinn für die anwesenden Schülerinnen und Schüler, weil sie verdeutlichte, wie Literatur ganz grundlegend “gemacht” wird und welche Haltung aufmerksame Leser und Leserinnen mitbringen müssen.
Frau Wagner vielen herzlichen Dank fürs Kommen. Herzlichen Dank auch dem Förderverein unserer Schule und der Sparkasse Mittelmosel EMH für die finanzielle Unterstützung der Autorenlesung und der Literaturwerkstatt.
Der Altstadtbuchhandlung Wittlich herzlichen Dank für das Zurverfügungstellen der im Rahmen der Veranstaltungen zu erwerbenden Jugendbücher und vor allem für die kostenlos zur Verfügung gestellte Märchenanthologie für Schülerinnen und Schüler aus der Religionsgruppe 6A/6B zur Ehrung des „Tages der internationalen Kinderrechte“.