Hochbegabung – Fluch oder Segen?

Stephan Kolbe, Dipl.-Psychologe am Zepf Landau und der dortigen Universität referierte zum Thema ‘Hochbegabung: Fluch oder Segen?’ kompetent, anschaulich und belegt anhand vieler Beispiele aus seiner Arbeit mit betroffenen Kindern und Jugendlichen. Zunächst definierte er den Begriff Hochbegabung: Etwa 1,8 % aller Jugendlichen seien hochbegabt; ein genetischer Einfluss sei nicht ausgeschlossen. Von einer Hochbegabung spreche man bei Kindern mit einem ausgetesteten IQ von 130 Punkten und mehr, die Gleichaltrigen bezogen auf ihre kognitive Intelligenz um etwa 1-2 Jahre voraus seien. Ein Test zur Feststellung einer Hochbegabung sei dann wirklich gut, wenn mehrere Testbereiche (Sprache, emotionale Intelligenz, Motorik, besondere Begabungen) intensiv ausgetestet würden. Tests, die dem nicht ansprächen, seien das CPM- bzw. das SPM-Testverfahren, weil sie zu einseitig testeten. Empfehlen konnte der Referent das Testformat WISC V für Kinder (ab 10/2017), weil hiermit vielseitig getestet werden könne.

Erkennungszeichen für Hochbegabung seien u.a.:

  • Überspringen ganzer Entwicklungsphasen: Ein Kind lernt z.B. überdurchschnittlich schnell zu laufen und überspringt häufig Entwicklungsphasen – z.B. das Krabbeln.
  • ein auffälliges Sprachverhalten: Ein Kind beginnt früh zu sprechen und bildet schnell ganze Sätze, verfügt früh über einen großen Wortschatz.
  • frühe Augen-Handkoordination/ früher Blickkontakt: Ein Kind zeigt frühzeitig ein großes Interesse an seiner Umgebung.
  • sehr gutes Gedächtnis und auffällig gute Beobachtungsgabe
  • frühes Interesse an Zahlen und Buchstaben, Symbolen und Zeichen
  • viele Fragen stellen zu nicht altersentsprechenden Themen: Das Kind hinterfragt viel und gibt sich mit Entscheidungen nicht einfach zufrieden, verblüfft zudem mit Fragestellungen und Wissensdurst.

Die Vorteile einer Hochbegabung lägen auf der Hand: Die betroffenen Jugendlichen zeigten eine schnelle Auffassungsgabe, eine hohe Transferleistung, ein breit angelegtes Allgemeinwissen, eine insgesamt hohe Gehirnaktivität, was allerdings oft dazu führe, dass hochbegabte Kinder Schwierigkeiten hätten einzuschlafen, da ein ‘Abschalten’ abends oft schwer falle.
Eltern hochbegabter Kinder hätten zudem mit Kindern zu tun, die viele Fragen stellten, bei denen sich rasch Langeweile beim Spielen einstelle, die immer wieder nach interessanteren Inhalten nachfragten und eintönige Aufgaben oft vehement ablehnten. Bereits in der Grundschule stelle sich, weil der Durst nach Wissen und Neuem kaum gestillt werden könne, eine “Konsummentalität” ein, die dazu führe, dass Lerninhalte quasi nebenbei “in den Lerneinkaufskorb” gepackt werden könnten, sodass Lernaufwand gar nicht oder kaum betrieben werden müsse, was in den weiterführenden Schulen oftmals, da das Lernen bisher nicht gelernt werden musste, zu Problemen führen könne. Gerade solche Kinder müssten spätestens nach dem 4. Schuljahr beim Übergang in die weiterführenden Schulen lernen, wie man lernt.
Frustrationstoleranz, der Umgang mit den eigenen Emotionen müsse zudem, da gerade hier oft Defizite bestünden, gelernt werden.
Oft lebten hochbegabte Kinder und Jugendliche nach der Maxime “Nur nicht auffallen!” gekoppelt mit einer Überanpassung, die dazu führe, dass hochbegabte Kinder froh seien, auch mal schlechte Noten zu schreiben. Auch das Gegenteil könne passieren: ein völliges Unangepasstsein. Ohnehin nähmen hochbegabte Kinder die eigenen herausragenden Leistungen als geringfügig wahr, da die Anstrengung kaum spürbar sei. Tragisch wirke sich für diese Kinder jedoch aus, dass sie von keinem gleichaltrigen Kind wirklich verstanden würden, ein Austausch über Ideen und Gefühle mit anderen kaum möglich sei, was oft zu sozialer Isolation führe. “Ich bin der Einzige! Keiner versteht mich”: Dies seien häufige Äußerungen von hochbegabten Kindern.
Herr Kolbe betonte, dass Hochbegabung keine Krankheit sei, sondern ein Geschenk für das Kind, für die Familie und für die ganze Gesellschaft. Hochbegabte Kinder seien auch keine besseren Kindern, sie brauchten aber, um sich harmonisch und glücklich entwickeln zu können, genauso wie jedes andere Kind auch, eine Förderung, die ihren Bedürfnissen gerecht werde.

In welchen Bereichen haben Hochbegabte oft Defizite und brauchten dort somit Hilfe?

  • Frustrationstoleranz
  • Umgang mit Emotionen
  • Lernen lernen
  • kontinuierliches Arbeiten, z.B. beim Sprachenlernen ( eine Hilfestellung: die Lern-App “phase6” )
  • Motivation

Was können Lehrer und Lehrerinnen tun, was sollten sie über hochbegabte Kinder zudem wissen?

  • den Kindern Freiräume in den Lösungsmöglichkeiten eröffnen (!),
  • wissen, dass Hochbegabung nicht mit Hochleistung gleichzusetzen ist,
  • Kinder nicht auf ihre Hochbegabung ansprechen (!). Sie wissen oft selbst nicht, was das ist.
  • Akzeptieren, dass hochbegabte Kinder nicht perfekt reproduzieren könnten,
  • Ein hochbegabtes Kind, das schnell mit seinen Aufgaben fertig ist, nicht als Musterbeispiel der Klasse vorführen.

Abschließend betonte Herr Kolbe, dass es d i e Hochbegabung nicht gäbe und auch d a s hochbegabte Kind nicht, sondern dass jeder Begabte einzigartig sei. Somit könne es auch nicht d e n Königsweg zur Förderung von besonders begabten Schüler und Schülerinnen geben.

Die anwesenden Eltern bedankten sich zum Schluss der Veranstaltung für den überaus gelungenen Vortrag und regten in der Diskussion durch die gestellten Fragen zu interessanten Vertiefungen des Themas an.

Auf folgende Links zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema verwies Herr Kolbe am Ende der Veranstaltung:

www.dghk.de
www.logios.de
www.scilogs.de/hochbegabung/
www.hbf-ev.de
www.mensa.de/
www.fachportal-hochbegabung.de/
www.stiftung-kleine-fuechse.de

Herrn Kolbe herzlichen Dank für den inhaltsreichen Elternabend! Der Referent konnte erneut für einen Vortrag im Herbst 2018 zum Thema ‘LRS / Dyskalkulie’ gewonnen werden.

(Hinweis: Die dargestellten Informationen geben die Inhalte des Handouts von Herrn Kolbe eins zu eins wieder, das der Referent den anwesenden Eltern dankenswerterweise zur Verfügung stellte.)