Von der Erziehung zur Beziehung – Elternabend zum Thema „Pubertät“

Herr Dr. Wagner, der Referent der inspirierenden Veranstaltung, betonte, dass jedes Kind einmalig sei, kompetent in dem, was es wolle, kompetent auch im Aufbau von lebensnotwendigen Bindungen. Kinder seien zudem mit einer „intakten inneren Welt“ ausgestattet, die von Erwachsenen oft so nicht gesehen werde, da diese eher auf das Defizitäre eines Kindes fokussierten.
Im Alter bis zu zehn Jahren brauchten Kinder zweifellos Regeln, Rituale, gelebte Vorbilder, die Eltern verlässlich vorlebten. Die Beziehung zwischen Kind und Vater/Mutter/Bezugsperson sei in dieser Phase geprägt von Abhängigkeit und von der Suche nach Anerkennung, sodass Kritik an kindlichem Verhalten oft persönlich genommen werde, da Angst mit im Spiel sei: die Angst, die Eltern verletzt zu haben oder gar zu verlieren. In dieser Phase sei für Kinder die positive Beantwortung der Frage wichtig: “ Bin ich gut? Bin ich O.K.für Mama und Papa?“ Der ausgeprägten Sehnsucht nach Bindung korrespondiere mit zunehmendem Alter die Sehnsucht nach Freiraum, der ein schrittweises Loslassenlernen und Delegieren der Eltern entspreche, das sich darin zeige, dass dem anvertrauten Kind ein altersgemäßer Entfaltungsspielraum eingeräumt werde. Von Anfang an! Gerade der frühe Umgang mit Tieren könne zudem ein wichtiger Faktor sein, Beziehungssehnsucht zu befriedigen, da Tiere selbstlos agierten und hier kindliche Fürsorge mit Vertrauen beantwortet werde.
Die kindliche Entwicklung sei somit, so Richard Wagner, wie eine Leiter, deren Sprossen die unterschiedlichen Entwicklungsphasen abbilde: Die Erziehung bis etwa zum sechsten Lebensjahr bestehe primär aus Fürsorge, Sicherung der Grundbedürfnisse, im Fördern der Selbstständigkeit und vor allem des Gefühls der Selbstwirksamkeit. Das Gefühl und die Erfahrung, selbst wirksam zu sein, Dinge gestalten zu können, sei entscheidend für eine gute Lebensbasis und eine gelingende weitere Entwicklung. Nicht weniger entscheidend sei der Aufbau eines starken Selbstwertgefühls, das nur in einer Familie oder einem festen Netz guter Beziehungen entwickelt werden könne. Gerade in der Phase bis zum 10. Lebensalter sei die Erfahrung, eine gute Beziehung zur Familie zu haben, für das Kind zentral, vom 11. bis 13. Lebensalter komme der Wunsch hinzu, sich auszuprobieren; eine Voraussetzung zum Finden der eigenen Identität, zur Wahrnehmung des eigenen „inneren Fahrplans“. Während dieser Phase sei es vielen Jugendlichen wichtig, sich zu spüren, sich treu zu bleiben, zu sich selbst zu stehen. Angriffe von Eltern auf das Selbstwertgefühl durch „Du sollst“- oder „Du musst“-Vorgaben seien Gift für die Eltern-Kind-Beziehung. Diese aktivierten nur den „Selbstbehauptungswillen“ des Kindes, führten zu Konflikten und Aggression. Verbote, die als Angriffe empfunden würden, würden abgeschmettert, nicht verstanden, nicht gehört. Permanent empfundene Angriffe von seiten der Eltern führten zum Gefühl des „Nichtgesehenwerdens“, im schlimmsten Fall zur Suche nach Ventilen, die wegen des möglichen hohen Risikoverhaltens der Jugendlichen, vor allem bei Jungs, gravierende Auswirkungen haben könnten.
Wie kann nun diese Phase sinnvoll gestaltet werden?
Eltern müssten weiterhin verlässliche Persönlichkeiten bleiben, die ihre Standpunkte und Vorstellungen klar benennen, somit klare Kante, Beistand und Widerstand also, falls notwendig, zeigten. Sie sollten aus der Sicht des Erwachsenen fragwürdige Handlungen zudem nicht ohne Rücksprache mit dem Kind verurteilen und sanktionieren. Der Königsweg zur Festigung und zur weiteren Vertiefung der gegenseitigen und für die Jugendlichen wichtigen Beziehung sei somit das Gespräch. Eltern müssten Abstand nehmen von der „Interviewebene“, womit der Referent Sätze wie: „Warum tust du das? Warum klappt das nicht?“ versteht. Dies alles spreche die logischen Gehirnsysteme an, die gerade in der Phase der Pubertät im Umbau begriffen seien und somit dem „limbischen System“, dem emotionalen Gehirnareal, viel Freiraum ermöglichten. Ich-Aussagen, die die eigene Befindlichkeit, die eigene Sorge deutlich machten, auch Fragen, die echtes Interesse an den Handlungsweisen des jugendlichen Gegenübers spürbar machten und vor allem zeigten, dass die Beziehung wichtig sei und nicht die Bewertung oder Sanktionierung einer Handlungsweise, seien für ein gelingendes Gespräch konstitutiv. Vorgaben, Verhaltensregeln von außen verpufften dagegen oft ungehört. Erziehung, grade in der Pubertät, sei somit ( oft anstrengende ) Beziehungsarbeit, die aber gelingen könne und dann zur Basis werden könne für eine stabile und gute zukünftige Eltern-Kind-Beziehung.